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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29

Automated Translation

Deutschland 1896, Volume 48, 2-335

137. Dr. Wüllner as Othello

Guest performance at the Court Theater, Weimar

The person who first explained the greatness of Shakespeare's dramas from the fact that their poet was an actor had a happy, illuminating idea. It is less important that this poet practiced the art of acting professionally than that he was, by his very nature, an actor. It is part of the essence of such a nature that it can, with complete denial of its own personality, immerse itself in other characters. The actor renounces being himself. He is given the opportunity to speak out of other beings. And the more malleable, the more transformable he is, the more of an actor he is. It has a deeply symbolic meaning that we know next to nothing about Shakespeare as a person. What is he to us as a person? He does not speak to us as a person; he speaks to us in roles. He is the true chameleon. He speaks to us as Hamlet, as Lear, as Othello. Shakespeare plays theater, even when he writes plays. He no longer feels what is going on in his soul when he creates the characters in his plays. Because Shakespeare was only an actor, his plays can only be performed by real actors. It will always be the sign of an actor's deficiency if his art fails in Shakespeare's dramas.

These thoughts crossed my mind last Sunday when I saw Mr. Wüllner's Othello. I couldn't shake off a certain impatience throughout the performance. I wanted to see Othello and all I saw all evening was Mr. Wüllner. I wanted to understand how Othello could gradually fall into this terrible rage of jealousy, and I only got to know the feelings that dominate Mr. Wüllner when he looks at Othello. Mr. Wüllner has not the power of self-expression which makes the true actor. At every moment he lets us see to the bottom of his own being.

Do not be unfair to Mr. Wüllner. His art is no small one. He has a great command of his means of expression, he is a master of the nuances of acting. There are many things to praise. But it is annoying when you see such art applied where the main point is missed.

Mr. Wüllner used to be a learned philologist. I think I recognize the scholar in the actor. The scholar lacks the ability to slip into the unknown; he only observes it, he usually just ponders it. And Mr. Wüllner did not play Othello, he played about Othello. He played what he pondered about Othello. But what does the audience care what Mr. Wüllner feels about Othello, no matter how vividly it is felt. I would rather see Mr. Wüllner's feelings and thoughts about the character of Othello set down in a literary work than acted on the stage. I have no doubt that such a work would be interesting. But I am not interested in interesting doctrines on the stage. They don't seem interesting there. It was therefore boring and tiring to watch Mr. Wüllner's Othello to the end. To portray a character in such a way that he stands there as if from a single mould, that the spectator has the feeling with every word, with every gesture, with every step, that all this must be so: this, it seems, Mr. Wüllner cannot do. With every detail one has the feeling that it could be different without changing anything as a whole. Mr. Wüllner offered a mosaic of acting nuances, not a uniform character. His art lacks style. It seems mannered. It represents the flip side of good acting. It denies everything that makes good actors great. Mr. Wüllner cannot eradicate the "doctor" in himself.

Dr. WÜLLNER ALS OTHELLO

Gastspiel im Hoftheater, Weimar

Einen glücklichen, lichtbringenden Einfall hatte derjenige, der zuerst die Größe der Dramen Shakespeares aus dem Umstande erklärte, daß ihr Dichter Schauspieler war. Es kommt dabei weniger in Betracht, daß dieser Dichter die Schauspielkunst berufsmäßig ausgeübt hat, sondern daß er, seinem Grundcharakter nach, eine Schauspielernatur war. Es gehört zum Wesen einer solchen Natur, daß sie, mit völliger Verleugnung der eigenen Persönlichkeit, in fremde Charaktere untertauchen kann. Der Schauspieler verzichtet darauf, er selbst zu sein. Es ist ihm die Möglichkeit gegeben, aus fremden Wesenheiten heraus zu reden. Und er ist um so mehr Schauspieler, je schmiegsamer, je verwandlungsfähiger er ist. Es hat einen tiefsymbolischen Sinn, daß wir von Shakespeare als Person so gut wir gar nichts wissen. Was geht er uns auch als Person an? Er spricht nicht als Person zu uns; er spricht in Rollen zu uns. Er ist das wahre Chamäleon. Er spricht als Hamlet, als Lear, als Othello zu uns. Shakespeare spielt Theater, auch wenn er Stücke schreibt. Er empfindet nicht mehr, was in seiner Seele vorgeht, wenn er die Gestalten seiner Stücke schafft. Weil Shakespeare nur Schauspieler war, deshalb können seine Dramen auch nur von wahren Schauspielern gespielt werden. Es wird immer das Zeichen eines Mangels an einem Schauspieler sein, wenn seine Kunst in Shakespeareschen Dramen versagt.

Diese Gedanken gingen mir letzten Sonntag durch den Kopf, als ich den Othello des Herrn Wüllner gesehen hatte. Ich wurde während der ganzen Vorstellung eine gewisse Ungeduld nicht los. Ich wollte den Othello sehen und sah den ganzen Abend nur Herrn Wüllner. Ich wollte begreifen, wie Othello allmählich in diese furchtbare Wut der Eifersucht hineingeraten kann, und ich lernte nur die Empfindungen kennen, die Herrn Wüllner beherrschen, wenn er den Othello betrachtet. Herr Wüllner hat nicht die Kraft der Selbstentäußerung, die den wahren Schauspieler macht. Er läßt in jedem Augenblicke auf den Grund seines eigenen Wesens schauen.

Man soll gegen Herrn Wüllner nicht ungerecht sein. Seine Kunst ist keine geringe. Er hat eine große Herrschaft über seine Ausdrucksmittel, er ist Meister der schauspielerischen Nuancen Es wäre müßig, über einzelnes zu reden. Da gibt es vicles zu loben. Aber es ist ärgerlich, wenn man solche Kunst da angewendet sieht, wo die Hauptsache verfehlt ist.

Herr Wüllner war früher gelehrter Philologe. Ich glaube den Gelehrten auch in dem Schauspieler wiederzuerkennen. Dem Gelehrten fehlt die Fähigkeit des Hineinschlüpfens in das Fremde; er betrachtet es nur, er grübelt meist nur darüber. Und Herr Wüllner spielte nicht den Othello, sondern er spielte über den Othello. Er spielte das, was er über den Othello ergrübelt hat. Aber was kümmert den Zuschauer, was Herr Wüllner über den Othello empfindet, auch wenn es noch so lebhaft empfunden ist. Ich möchte die Empfindungen und Gedanken des Herrn Wüllner über den Charakter des Othello lieber in einer literarischen Arbeit niedergelegt als auf der Bühne gespielt sehen. Ich bezweifle nicht, daß eine solche Arbeit interessant wäre. Auf der Bühne interessieren mich aber keine interessanten Doktrinen. Da wirken sie uninteressant. Es war deshalb langweilig und ermüdend, den Othello des Herrn Wüllner bis zum Ende anzusehen. Einen Charakter so hinzustellen, daß er wie aus einem Guß dasteht, daß der Zuschauer bei jedem Worte, bei jeder Gebärde, bei jedem Schritt die Empfindung hat, alles das muß so sein: dies vermag, wie es scheint, Herr Wüllner nicht. Man hat bei jeder Einzelheit das Gefühl, diese könnte auch anders sein, ohne daß im ganzen etwas geändert wäre. Eine Mosaikarbeit schauspielerischer Nuancen bot Herr Wüllner, keinen einheitlichen Charakter. Seiner Kunst fehlt der Stil. Sie wirkt manieriert. Sie stellt die Kehrseite des guten Schauspielertums dar. Sie verleugnet alles, was gute Schauspieler groß macht. Herr Wüllner kann den «Doktor» in sich nicht ausmerzen.