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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29

Automated Translation

Magazin für Literatur 1897, Volume 66, 51

72. “Bartel Turaser”

Drama in three acts by Philipp Langmann
Performance at the Lessing Theater, Berlin

A few weeks ago, Philipp Langmann was criticized by none other than the officials of a Brno accident insurance company. They were checking whether he knew how to add horizontal and vertical number sequences correctly. Because Philipp Langmann served them for a monthly fee of seventy guilders. Today, Philipp Langmann is the darling of Berlin and Viennese theater audiences. His "Bartel Turaser" was performed at the same time in the Vienna Volkstheater and the Berlin Lessing-Theater; and in both cities the audience is aware that it has seen the work of a great poet. Here in Berlin, if a critic grumbles and utters a word of censure against the work, he may hear the worst things. He may have sinned up to now, however much opposition and grumbling he has to object to. You can forget that. But if he has something against the "Bartel Turaser", then he is simply labeled a brash guy.

This is a nice touch in the not always pleasant physiognomy of our theater audience. It's nice to be able to overlook major flaws alongside major merits. You have to if you want to praise Philipp Langmann's drama unreservedly. After all, the play is only a change to the future. But those who do not accept the change unconditionally have a poor understanding of the future. Philipp Langmann is a solvent playwright. He will strip away the tendentious morality he proclaims to us, the dramatic clumsiness that occurs in his work; and he will continue to develop the fine view he is able to cast into people's souls.

The Bartel Turaser, who swears perjury in order to be able to provide bread for his sick child, and who then presents himself to the court as a perjurer when the death of his beloved child gives rise to a feeling of remorse: he is a character that only a true poet could create; but the way Langmann presents him is an arbitrarily constructed figure. The poet is less interested in showing how a person's feelings can be transformed than in ensuring that good triumphs in the end.

Langmann has something that must necessarily result in success with the audience. This audience is not at all averse to being informed about the abuses of our social order. But the matter must not go too far. The excitement about existing misfortune must not spoil the good supper that one wants to eat after the theater. And the audience is right. The stage is not a moral institution after all.

Langmann, like the audience, is caught in the middle between the full truth and the consolation of the "practical Christian" that the good Lord and a clear conscience will take care of everything. Is it really necessary to spoil people's appetite by telling them that poor people eat dogs to banish hunger? Langmann does not say such things. He doesn't say them because he doesn't feel them vividly enough. He is honest as an artist. He is no more indignant himself than he is when he shows it to his audience. His feelings are not extreme. He is a temperate sensitive person. His temperament does not exceed that of the masses. He only has the gift of effectively shaping what the masses feel. He does not disturb the sound sleep of the Philistines. But he is a poet who commands their respect. And rightly so. He forces a respect from them that does them honor.

«BARTEL TURASER»

Drama in drei Akten von Philipp Langmann
Aufführung im Lessing-Theater, Berlin

Vor wenigen Wochen übte an Philipp Langmann niemand Kritik als die Beamten einer Brünner Unfallversicherungsgesellschaft. Sie kontrollierten, ob er horizontale und vertikale Zahlenreihen richtig zu addieren versteht. Denn Philipp Langmann diente ihnen um siebzig Gulden monatliches Honorar. Heute ist Philipp Langmann der Liebling des Berliner und Wiener Theaterpublikums. Im Wiener Volkstheater und im Berliner Lessing-Theater ist sein «Bartel Turaser» zur selben Zeit aufgeführt worden; und in beiden Städten ist das Publikum sich klar darüber, daß es das Werk eines großen Dichters gesehen hat. Wenn hier in Berlin sich ein Kritiker muckst und ein Wort des Tadels gegen das Werk vorbringt, so kann er die übelsten Dinge zu hören bekommen. Er mag bisher gesündigt haben, wieviel ihm Oppositionslust und Nörgelsucht nur einzuwenden haben. Das kann man ihm vergessen. Wenn er aber gegen den «Bartel Turaser» etwas hat, dann wird er einfach zum schnoddrigen Kerl gestempelt.

Das ist ein schöner Zug in der nicht immer angenehmen Physiognomie unseres Theaterpublikums. Es ist schön, wenn man neben großen Vorzügen große Fehler übersehen kann. Man muß das, wenn man Philipp Langmanns Drama uneingeschränkt loben will. Denn das Stück ist doch nur ein Wechsel auf die Zukunft. Aber derjenige versteht sich schlecht auf die Zukunft, der den Wechsel nicht bedingungslos annimmt. Ein zahlungsfähiger Dramatiker ist Philipp Langmann. Die tendenziöse Moral, die er uns verkündet, die dramatischen Ungeschicklichkeiten, die in seinem Werke vorkommen, wird er abstreifen; und den feinen Blick, den er in die Seelen der Menschen zu werfen vermag, wird er weiter ausbilden.

Der Bartel Turaser, der einen Meineid schwört, um seinem kranken Kinde Brot schaffen zu können, und der sich dann selbst als Meineidigen dem Gericht stellt, als der Tod des geliebten Kindes das Gefühl der Reue aufkommen läßt: er ist eine Persönlichkeit, die nur ein wahrer Dichter schaffen konnte; aber wie ihn Langmann hinstellt, ist er doch eine willkürlich konstruierte Figur. Es kommt dem Dichter weniger darauf an, zu zeigen, wie sich die Gefühle eines Menschen verwandeln können, als vielmehr darauf, daß das Gute zuletzt siege.

Langmann hat etwas, was den Erfolg beim Publikum unbedingt nach sich ziehen muß. Dieses Publikum lehnt es durchaus nicht ab, über die Mißstände unserer Gesellschaftsordnung unterrichtet zu werden. Die Sache darf nur nicht zu weit gehen. Die Aufregung über vorhandenes Unheil darf nicht das gute Abendbrot, das man nach dem Theater verzehren will, verderben. Und das Publikum hat recht. Die Bühne ist doch keine moralische Anstalt.

Langmann hält sich, wie das Publikum, in.der Mitte zwischen der vollen Wahrheit und dem Troste des «praktischen Christen», daß der liebe Gott und das gute Gewissen schon alles machen werden. Muß man denn durchaus den Leuten den Appetit dadurch verderben, daß man ihnen sagt, die armen Leute essen Hunde, um den Hunger zu vertreiben? Solche Dinge sagt Langmann nicht. Er sagt sie nicht, weil er sie nicht lebhaft genug empfindet. Er ist ehrlich als Künstler. Er ist selbst nicht mehr entrüstet, als er es seinem Publikum zeigt. Seine Empfindungen sind keine extremen. Ein gemäßigter Empfinder ist er. Sein Temperament geht nicht über das der großen Masse hinaus. Er hat nur die Gabe, das wirksam zu gestalten, was diese Masse empfindet. Den gesunden Schlaf stört er den Philistern nicht. Aber ein Dichter ist er, der ihnen Achtung abzwingt. Und mit Recht. Er zwingt ihnen eine Achtung ab, die ihnen Ehre macht.